Hestia ~ Vesta

(Dieser Artikel wurde erstmalig in der Ausgabe 15 (pdf) des Schlangengesangs veröffentlicht)

Hestia ist die griechische, Vesta die römische Version der “Göttin des (Herd)Feuers”. Wie bei den meisten anderen Gottheiten der beiden Pantheone können sie nahezu gleichgesetzt werden. Sie wurden als das Feuer verehrt, es war eine bildlose Verehrung. Von Vesta existieren einige wenige Statuen seit Ende des 2. Jahrhunderts, dies jedoch eher aus politischen Gründen.

Beide wurden bereits vor der Eroberung durch die Griechen bzw. Gründung Roms vor Ort verehrt. Beiden wird eine alte Linie zuerkannt, so ist Hestia die Erstgeborene von Rhea und Kronos/Saturn - die älteste Schwester des Zeus also. Über Vestas Genealogie ist nichts bekannt, immerhin jedoch soll Rhea-Silva, Mutter des Rom-Gründers Romulus, eine oder die erste Vestalin (Priesterin der Vesta) gewesen sein.

Die doppelte Nennung der Rhea macht nachdenklich. Dies führt zwar unweigerlich ins Land der Spekulation und Vermutung, dennoch wird sowohl in Griechenland als auch in Rom deutlich gemacht, dass es sich bei dem Hestia/Vesta-Kult um einen der ältesten Kulte überhaupt handelt. Die Gedanken schweifen ab, gehen zurück in der Geschichte bis hin zur Entdeckung des Feuers und ich frage mich, ob es sich hierbei nicht tatsächlich um den ältesten Kult der Menschheit an sich handelt. Das Feuer bringt nicht nur Licht und Wärme, sondern sorgt auch für eine schmackhafte Nahrung. Und so ganz nebenbei hält es wilde Tiere fern. Hier schon früh eine kultische Verehrung zu vermuten ist also naheliegend. Umso ergreifender wird mit diesem Hintergrund der Gedanke an das Olympische Feuer: Auch heute noch ist die Entzündung des olympischen Feuers durchaus eine heilige Kulthandlung zu nennen - und Fackelträgerin sein zu dürfen, eine große Auszeichnung. Vermutlich ein Nachläufer eines Kultes, der annähernd so alt ist wie die Menschheit.

Hestia und Vesta lieben die runde Form, den Kreis. Der Herd, die Feuerstelle war zu damaliger Zeit rund, genauso wie der Tempel der Vesta. Geehrt werden können sie durch das Entzünden eines (Herd/Lager)Feuers oder auch einer einfachen Kerze. Jede Nahrungszubereitung (Kochen, Backen) erfolgt ihnen zu Ehren. Hestia ist als mildtätig, gnädig, gerecht bekannt. Zugunsten von Dionysos verzichtet sie auf den Platz im Olymp.

Zu beiden - Hestia wie Vesta - gehört die Jungfräulichkeit, die Ungebundenheit, Unabhängigkeit von Vater oder (Ehe)Mann. Beide haben sich dem Liebeswerben bis hin zur Vergewaltigung entzogen und “durften” jungfräulich weiterleben. Im Vesta-Kult ist dies durch die Vestalinnen besonders überliefert: sie waren freie Frauen, hatten die selben, teils sogar noch mehr Rechte wie jeder (männliche) Bürger Roms. Sie durften Besitz haben, durften sich frei bewegen, sogar Wagen fahren. Außerdem hatten sie die Befugnis, Übeltäter zu begnadigen, wenn sie ihnen zufällig begegneten. Dies allerdings war an die Zufälligkeit der Begegnung gebunden. Das Vergehen der Unkeuschheit wurde jedoch mit dem Tod bestraft: die Vestalin wurde bei lebendigem Leibe eingemauert. Allerdings wurde diese Strafe praktisch nur in Krisenzeiten verhängt. Ging es Rom und den Römern gut, ließen sich entsprechende Vorwürfe immer aufklären.

Es gab jeweils sechs Vestalinnen, die im Alter zwischen sechs und zehn Jahren “ausgewählt” wurden und für dreißig Jahre ihren Dienst tun mussten: zehn Jahre Ausbildung, zehn Jahre Priesterinnendienst, zehn Jahre Lehrtätigkeit. Sie waren für das Feuer zuständig; es verlöschen zu lassen wurde als böses Omen ausgelegt und schwer bestraft. Wasser für den Tempel durfte nur von ihnen von einer bestimmten Quelle geholt werden. Sie waren zuständig für die Ausrichtung und Vorbereitung etlicher weiterer Festivitäten, wie z.B. dem der Tellus Mater, der Bona Dea, aber natürlich auch den eigenen Vestalia vom 9.-15. Juni gehend. Weiterer Feiertag war der 1. März, Neujahr, zu dem das Feuer gelöscht und neu entzündet wurde. So wie Jupiter bei allen Festen zuerst genannt wurde, stand Vesta die Ehre zu, stets die letztgenannte zu sein.

Zu Hestia sind keine festen Feiertage überliefert, aber es ist bekannt, dass bei einer Vermählung die Brautmutter mit einer Fackel aus dem eigenen Herd dem Paar voran in das neue Haus ging, um dort den Herd zu entzünden. Erst dann wurde aus dem Haus ein Heim. Weiter ist überliefert, dass Neugeborene am fünften Tag um den Herd getragen wurden, als Zeichen, dass sie von der Familie aufgenommen worden waren. Im Anschluss daran gab es natürlich ein entsprechendes Fest.

Ihre Verbindung zum Haus geht über den Herd hinaus, ihr wird die Kunst des Hausbaus zugeschrieben. So steht sie im übertragenen Sinn für das Ankommen in sich selber, für das Bei-sich-sein bzw. -bleiben. Dieser Aspekt wird durch die symbolische Jungfräulichkeit, dem Nicht-Unterwerfen, noch gestärkt.

Hestia und Vesta lassen sich nicht vereinnahmen, bleiben bei sich und bilden mit ihren Kulten eine Art Insel in der jeweiligen Gesellschaft. Ein Teil davon ist heute in der Marienverehrung noch zu erkennen - was an sich aber kein Kunststück ist, da sie die einzige “legale Göttinnenverehrung” über lange Zeit darstellte und dies z.T. heute noch tut. So ist es also kein Wunder, dass sich die meisten Göttinnenkulte in Maria wiederfinden.

Einen Unterschied meine ich zwischen beiden jedoch auszumachen. So deuten die Quellen darauf hin, dass Hestia eher für “Normalsterbliche” zuständig war, Vesta mehr für hochrangige Persönlichkeiten (Kaiserfamilie) und den Staat an sich. Vielleicht wurde in Rom einfach mehr “Wirbel” um den Kult - des Kultes wegen - veranstaltet, so dass dieser Eindruck entsteht. Quellen zufolge wird Vesta als römische Göttin des Staatsherdes benannt, Hestia als Schutzgöttin des häuslichen Friedens und Beistand aller Schutzflehenden. Hier wird übrigens Vesta als Erfinderin der Häuser benannt, dafür wird unterschlagen, dass sie auch die Schutzgöttin der Bäcker und Müller ist.

Abschließend kann ich nur feststellen, dass die Gemeinsamkeiten überwiegen und die beiden sich in den Unterschieden letztlich nur ergänzen. Selbst die Namen sind etwa gleichlautend. Da das Feuer nach wie vor einen wichtigen Teil unseres Lebens ausmacht, allerdings in geänderter Form, ist es spannend zu überlegen, wo und wie Hestia/Vesta von uns heute verehrt werden kann. Wo und was heute alles “brennt” und ob vielleicht so manche Eisen zuviel im Feuer sind? Der Blick aufs Wesentliche nicht mehr gewährleistet ist.

Literaturtipps:

  • Marashinsky / Janto: Göttinnengeflüster
  • Hutzl-Ronge: Feuergöttinnen, Sonnenheilige, Lichtfrauen
  • Bolen: Göttinnen in jeder Frau