Die Göttin - das Göttliche - der Gott
Ja was denn nun? Mir ist es wie vermutlich sehr vielen in unseren Breitengraden ergangen: Von klein auf hatte ich gelernt, dass es Gott gibt. Also: einen. Und der ist - selbstverständlich, natürlich - männlich. Warum es so eifersüchtig heißt, dass man keine anderen Götter haben soll neben ihm, war mir ebenfalls von klein auf schleierhaft - schließlich gibt es doch gar keine anderen Götter?
Nun, das stimmt - und gleichzeitig stimmt es nicht. Doch bevor ich das weiter ausführe, muss ich vorweg schicken: All das stimmt natürlich wieder nur für mich. Das ist der Haken an der Sache mit dem Glauben. Du kannst ihn nur für dich selber finden. Auf deinem eigenen Weg. Das kann einer mit etablierten “Reiseführer” wie z.B. der Bibel sein, das kann ein abenteuerlicher Weg durch den Eso-Dschungel und/oder einem Abstecher zur Psychotherapie oder über eine Krankheit sein.
Ich sehe es so, dass es “das Göttliche” gibt. Das ist für mich einfach Fakt. Dass es Menschen gibt, die das Gegenteil behaupten, macht es für mich nicht weniger wahr. Genausowenig wie ich diese Menschen der Lüge bezichtigen will. Glaube ist Privatsache, ist mit das Intimste, das es im Leben überhaupt gibt. Wer bin ich denn, anderen bei ihrem Glauben oder nicht-Glauben reinreden zu wollen?
Also halte ich fest: es gibt da “etwas”, ich nenns der Einfachheit halber mal das All-Es. Eine treffende Bezeichnung, weil “das Göttliche” ja zwangsläufig alles umfassen/beinhalten muss, was war, ist und jemals sein wird. Immer und überall. Über die Grenzen unseres Sonnensystems, unserer Galaxie hinweg. Eben: All-Es! Das, aus dem alles entstanden ist und das, wo alles wieder hingeht.
Damit erübrigt sich an sich die Frage, ob “das Göttliche” männlich oder weiblich ist. Es ist beides, es ist alles und gleichzeitig nichts von all dem. Es kann nicht männlich sein, sonst könnte es das Weibliche nicht erschaffen. Es muss aber sowohl das Eine als auch das Andere sein, weil es beides hervorgebracht hat und bringt. Deshalb ist “das Göttliche” auch pflanzlich, tierisch, mineralisch, menschlich - und all das eben nicht. Weil es all das gebiert - also trägt All-Es alles in sich.
So weit, so gut. Aber wirklich verständlich ist dieses All-Es eigentlich nicht. Naja, liegt in der Natur des Göttlichen - dass es ein bisschen größer ist als wir Menschleins. Zu groß, um wirklich vollends von uns erfasst werden zu können. Das ist einerseits tröstlich zu wissen, dass alles Leben durch dieses All-Es verbunden ist, dass niemand wirklich allein ist. Dass es Geborgenheit gibt.
Manchmal brauchts aber etwas “Greifbares”, etwas, das ich begreifen kann. Da hilft dann die Vorstellung eines Gottes, einer Göttin - oder einer ganzen Anzahl davon. Ich sehe diese Personifizierung (kann durchaus Tiergestalt sein, oder ein Baum, ein Fluss, ein Berg - All-Es kann schließlich alles sein!) ungefähr so, als würde “das Göttliche” ein Kleid, einen Mantel, ein Gewand überziehen, um für mich in einer bestimmten Situation auf hilfreiche Art sichtbar zu sein.
Da ich selber weiblich bin, ist es für mich realistischer, das All-Es als Göttin zu “sehen”, wahr zu nehmen. Und es war schließlich SIE, die damals, vor vielen Jahren, plötzlich bei mir im Wohnzimmer stand und mich willkommen geheißen hat. Da war mir auf einmal klar, was bisher in meinem Glauben nicht richtig war.
Inzwischen habe ich viel gelernt. Habe über viele Göttinnen (und Götter) verschiedenster Kulturen und Zeiten gelesen, diskutiert, interpretiert, gefühlt, visualisiert, wahr-genommen. Viele Jahre, in denen ich immer wieder lose Enden aufgehoben habe, weiterverfolgt - um schließlich zu bemerken, dass sie alle denselben Ursprung haben.
So ist es für mich richtig. Bei dir mag das ganz anders sein - dann ist das genauso richtig. Für dich. Das ist wohl die wichtigste Lektion, die ich gelernt habe. Dass es tatsächlich nur einen Weg zum “Göttlichen” gibt. Nämlich den eigenen. Auch wenn das bedeutet, dass es dann doch wieder mehr als sieben Milliarden Wege gibt. Ist das nicht das eigentlich wunder-volle? Dass “das Göttliche” für jeden Menschen einen ganz individuellen Weg bereit hält, der sich nur wirklich auf den Weg machen will? Ich finde das großartig!
In den ersten Jahren meiner Spiritualitätsfindung hätte ich es nie gewagt, z.B. Isis und Freya gleichzeitig zu rufen. Schließlich gehören sie völlig verschiedenen Kulturkreisen und Glaubensrichtungen (wenn sich das so sagen lässt) an. Heute weiß ich, dass die beiden viel mehr verbindet, als sie trennen würde. Es ist - ganz vereinfacht gesagt - immer die Göttin, immer das Göttliche. Nur einmal in ägyptischer Tracht und einmal in nordischer. Wenn ich Heilung brauche, bitte ich Inanna um Hilfe. Wenn ich Inspiration brauche, ist Brigid die Göttin meiner Wahl. Die Göttin personifiziert also jeweils einen Teilbereich des All-Es - den Teil, auf den ich mich gerade konzentriere.
Die männlichen Gottheiten habe ich bislang ziemlich ausgeklammert. Das liegt wohl auch daran, dass das Männliche unser Erdenleben hier sowieso schon sehr dominiert. Da finde ich es umso wichtiger, in Sachen Spiritualität auf Weiblichkeit zu setzen. Nicht zuletzt deshalb, weils mir einfach näher liegt.
Fazit: das Göttliche ist All-Es. Dem Individuum erscheint es männlich oder weiblich. Als diese oder jene Gottheit. Oder du spürst die göttliche Präsenz ganz einfach beim Spaziergang im Wald. Es ist immer das Selbe.
So sehe ich das zumindest…